Rosie von “DIYCouture” über Schnittmuster und die Ethik der Vivienne Westwood

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Heute ist schon der letzte Tag der Fashion Revolution Week und heute endet auch unsere Fashion Revolution Week Blogtour mit einem – wie man in Bayern sagt – “Schmankerl”, d.h. einem Leckerbissen.

Ich freue mich sehr, daß Rosie Martin von DIYCouture die Nähbloggerrunde bestehend aus Ulrike von Moritzwerk, Zoe vom Blog So, Zo… und Portia von Makery abrundet.

Auch Rosie habe ich wieder ein paar Fragen zum Thema Nähen und Nachhaltigkeit gestellt und wieder so spannende Antworten bekommen, daß ich mich eigentlich am liebsten mit ihr heute Nachmittag auf einen Kaffee (oder Tee) treffen, und weiter diskutieren würde…

Interview mit Rosie von DIY Couture

 

Liebe Rosie, kannst du uns zuerst etwas über dich erzählen? Wo lebst du, was ist dein Beruf und was war deine Motivation, Teil der DIY-Bewegung zu werden?

Hallo! Ich lebe im sehr fernen Osten Londons. Ich arbeite für eine große Wohltätigkeitsorganisation, die alle möglichen Dinge tut, um blinden und sehbehinderten Menschen bei den Herausforderungen in der Gesellschaft zu helfen. Ich spiele Schlagzeug und manchmal andere Instrumente und natürlich nähe ich gerne. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich entschieden habe, Teil der DIY-Bewegung zu werden, es ist einfach etwas, das zu mir und meiner Art passt!

Mir hat es immer sehr viel Spaß gemacht etwas selber zu machen und in den 90ern bekam ich als Teenager das absolute Nähfieber. Mein Freund hat mir ein paar Anleitungen für eine Hose runtergeschriebn – und so habe ich angefangen selber zu nähen auf eine stark „Mach-es-selbst“.

Und dann bin ich älter geworden und habe mich immer mehr auf die „anarchistische“ Seite der Dinge geschlagen. Ich boykottierte unethische Unternehmen, beteiligte mich an direkten Aktionsprotesten, nahm einen “opting out” – Ansatz an und lebte abgekoppelt in einem Lieferwagen und versuchte es eine Existenz zu erreichen, die frei und abgelöst von dem kapitalistischen Standardmodell war. Ich muss sagen, daß ich es nicht geschafft habe diesem sehr wachen Ansatz meiner Lebensweise treu zu bleiben und lebe heute lange nicht mehr so radikal wie damals.

Bis jetzt hast du zwei Bücher veröffentlicht. Eins heißt “DIY Couture” und das neueste “No patterns needed”. Mit beiden Büchern bietest Du “eine Reihe von einfachen, illustrierten Anleitungen, die es den Lesern ermöglichen, Kleidungsstücke selbst zu machen” anstatt sie zu kaufen. Wie bist du auf diese Idee gekommen?

So, meine ersten Näherfahrungen waren ohne Schnittmuster und ich habe es total geliebt fähig zu sein meine eigenen Kleider zu machen. Ich habe so viele Leute getroffen, die mir gesagt haben, dass sie gerne ihre eigenen Klamotten machen würden, aber sie waren der Meinung, dass es jenseits ihrer Möglichkeiten lag. Ich wusste, dass das nicht der Fall war. Zu dieser Zeit waren Schnittmuster eigentlich das einzige verfügbare Werkzeug, um Kleidungsstücke selber zu machen, aber Schnittmuster haben für viele einfache Konstruktionsprozesse mit verwirrend komplexen und kaum bebilderten Anleitungen nicht durchschaubar gemacht. Wenn ich nicht von einer Nähfreundin mit handschriftlichen Anmerkungen an den Anleitungen dazu ermutigt worden wäre, hätte ich wahrscheinlich aufgeben, wenn man mir ein Schnittmuster vorgelegt hätte.

Ich war so leidenschaftlich und wollte anderen Leuten helfen, ihre eigenen Kleider zu konstruieren, also schien das Erstellen einfacher, visueller Anweisungen wie ein neuer Weg! Ich habe tatsächlich 3 kurze Anleitungen als Booklet selbst gedruckt und herausgegeben, bevor die zwei Bücher erschienen sind. Ich nannte dieses Projekt “DIYcouture”.

Bereits vor einigen Jahren im Jahr 2012 ermutigte Vivienne Westwood ihre Kunden während einer Modenschau, keine Kleidung zu kaufen. Genauer gesagt sagte sie: “Natürlich versuche ich nicht zu verschwenden und meine Art zu verschwenden ist, sich auf die Qualität zu konzentrieren, nicht auf die Quantität. Und du kennst meine Botschaft, es ist kaufe weniger, wähle gut, und mach es lange haltbar. Noch besser ist, kauf nichts, kaufe solange keine Kleider bis du wirklich musst “
Könnte es sein, dass Vivienne Westwood deine Seelenverwandte ist und was denkst du über Quantität und Qualität in Bezug auf Kleidung?

Ha ha ha, ich liebe diese Frage! Ich habe diese Sache mit Vivienne Westwood … Ich finde ihre Politik extrem problematisch. Gleich zu Beginn der DIYcouture habe ich ein Video gedreht, bei dem es so aussah, als würde ich eine ihrer Jacken in einem Lift bei Selfridges (Kaufhaus) zerschneiden!

Es ist so einfach für eine reiche Berühmtheit, die teure Kleidung verkauft, Leute darüber zu belehren, “gut zu wählen.” Genauso wie sie sich selbst als “Punk” bezeichnete, ohne wirklich einen Punk-Ansatz zu haben, hat sie sich selbst als “ethisch korrekt” definiert obwohl ihre Firma Praktikanten keine Gehalt zahlt und keine ökologischen Grundlinien einhält um die Auswirkungen ihrer Tätigkeiten zu begrenzen. Außerdem  erwähnt sie nirgendwo, dass sie den Produzenten ihrer Kleidungsstücke einen fairen Lohn und eine Prämie bezahlt.

Ich finde, wenn sie andere Leute belehrt, aber 100 Pfund für ein T-Shirt verlangt für dessen Produktion der Arbeiter wahrscheinlich weniger als 1 Dollar verdient ist das definitiv fehlendes Bewußtsein.

Ich glaube fest daran, dass “Quantität” destruktiv ist. Dies ist ein Modell, das wir geschaffen und eingeführt haben, in dem die Produktion schnell ist und der “Erfolg” der Unternehmen auf immer mehr Konsum angewiesen ist. Das alles dann zu Lasten der Produzenten und der Umwelt.

Ein Fokus auf Qualität statt auf Quantität könnte ein Teil der Herausforderung. Ich finde es eine Schande, dass jemand wie Vivienne Westwood, der die Macht hat, Veränderungen für viele Menschen in ihrem eigenen Geschäft zu beeinflussen, stattdessen einen so oberflächlichen Ansatz wählt, und nur davon spricht, ethisch korrekt zu handeln zu sein, ohne diese Werte in der Praxis wirklich zu leben.

Wo kaufst du deine Klamotten? Oder machst du die meisten deiner Kleidungsstücke selbst?

Ich mache die meisten meiner Kleider selbst, obwohl ich immer noch Jeans kaufe, meistens von Second Hand Läden oder aus der Altkleidersammlung. Ich bin jedoch überhaupt kein ethischer Engel. Ich kaufe meine Schuhe und Unterwäsche von einem ganz normalen Laden in der Einkaufsstraße. Ich muss sagen, dass ich mitschuldig bin, wenn ich Firmen Geld gebe, die ihre Arbeiter nicht wertschätzen. Vielleicht haben ich und Vivienne mehr gemeinsam, als ich gerne denke!

Auf deiner Website nennst du die DIY-Bewegung eine langsame Revolution und definierst sie als Antithese zu Fast-Fashion. Was denkst du andererseits – über soziale Medien, die DIE Stimme für die DIY-Bewegung und alle Selbermacher geworden sind? Großartig einerseits, aber auch sehr schnell, virtuell und voll geschönter Inhalte andererseits. Verstößt das nicht gegen die “langsame” DIY-Revolution?

Hmmm interessante Frage! Persönlich liebe ich Technik, und ich denke nicht unbedingt, dass “langsam” positiv und “schnell” negativ ist – es kommt lediglich darauf an, worum es geht du. Ich denke, eine der revolutionären Kräfte des Nähens ist, dass du von Grund auf erlebst, was alles nötig ist um ein Kleidungsstück herzustellen  – etwas, das oft verborgen ist. Das wird dann zu etwas, worüber du sprichst, und ich denke, Diskussionen sind ein wichtiger Teil, um den Status Quo in Frage zu stellen.

Daher sehe ich Social Media als wertvoll vor allem in dieser Diskussion. Wir alle teilen unsere komplexen Gedanken darüber, wie sich das Nähen zu der Fashion Revolution verhält, und darüber, ob unser Ansatz, eigene Kleider herzustellen, als “ethisch” oder sogar “langsam” betrachtet werden kann. Dieser Austausch kann also transformativ sein.

Auf der anderen Seite denke ich aber, dass unsere Emotionen tief mit dem kapitalistischen Modell verbunden sind. Der Kapitalismus lässt uns oft klein fühlen, so wie idealisierte Lebensstile Teil des Branding sind, und wir uns dann oft dem Konsum zu, um uns besser zu fühlen.

Es ist interessant darüber nachzudenken, wie Social Media dazu passen – wann Menschen sich austauschen und ab wann es ungesund wird und die Psyche beeinflusst weil ein ständiger Vergleich der Lebensstile stattfindet.

Ich weiß nicht, ob das diese Antworten diese Frage überhaupt beantworten!

Besonders an deinem Instagram-Account mag ich deine unprätentiösen, “straight-ahead”, NICHT geschönten und manchmal auch melancholischen Schnappschüsse. Was möchtest du mit den Social-Media-Kanälen vermitteln, die du verwendest und was ist Dein Favorit?

Gut, danke! Ich muss sagen, ich habe nicht die Absicht, etwas Bestimmtes zu vermitteln! Ich bin irgendwie von Twitter abgekommen, da ich im Grunde zu vielen Leuten gefolgt bin und mein Feed bedeutungslos geworden ist. Also ist Instagram mein Hauptkanal und ich genieße es Teil der Instagram Nähgemeinschaft zu sein.

Ich liebe es, Fotos zu machen, und ich denke, ich poste einfach Bilder von Dingen, auf die ich stoße, die ich mag – oft Gebäude und Landschaften (weil ich die Welt liebe!) sowie von dem, was ich mache. Vielleicht sehen meine Fotos melancholisch aus, weil ich nicht dazu tendiere, Menschen einzubeziehen? Ich versuche normalerweise, Leute zu meiden, weil ich finde, es ist ein bisschen unhöflich ist, Leute zu fotografieren! Ha ha!

Ich würde wirklich gerne wissen, wer dein Lieblingsmodedesigner ist? Kannst du erklären warum?

Ich bin da ziemlich unloyal, wenn es um Modedesigner geht – ich mag verschiedene Designs von Leuten zu verschiedenen Zeiten.
Ich finde Catwalk-Mode sehr inspirierend, aber ich lege mich da nicht fest. Ein paar Favoriten sind vielleicht Kenzo, MSGM, Miu Miu und Prada.

Ich denke, das sind alles ziemlich kühne, zukunftsorientierte Marken. Ich finde Prada immer auf dem neuesten Stand und inspirierend, sowohl in der Kleidung, die sie machen, als auch in der Art, wie sie sie in Fotos präsentieren.

Ihre Fotos haben in letzter Zeit so viel Spaß gemacht und viele Gruppen von Menschen miteingeschlossen, die in vielerlei Hinsicht verschieden sind – einschließlich Älterer.

Ich denke, dass ich mich zu Designern hingezogen fühle, die Farbe und Druck auf interessante Weise nutzen und Modedesign in innovative Richtungen bringen.

Und last but not least: Was wünschst Du Dir für die Textilindustrie, die immer noch zu einer der schmutzigsten gehört, mit oft schlimmen Bedingungen für die Arbeiter und einer schrecklichen Belastung für die Umwelt?

Wow, nun, das Wort “Wunsch” lässt vermuten, dass ich hier voll und ganz auf eine Traumwelt eingehen kann!

Ich würde mir wünschen, eine ethische korrekte Produktion wäre keine Nische, sondern eine Grundhaltung, auf dem global alles fusst. Der Traum wäre, dass die gesamte Textilherstellung so abläuft, dass Wasserquellen nicht austrocknen, sie nicht mit Chemikalien verschmutzt werden oder Menschen lebenslang krank machen oder diese sich kaum etwas leisten können.

Dies würde einen Ansatz erfordern, davon ausgehend die tatsächlichen Kosten für die Endprodukte zu berechnen und den Gewinn über die gesamte Lieferkette hinweg auszugleichen.

Mit Technologien, Respekt für die Umwelt und einem neuen (langsamen!) Ansatz für Arbeit und Wohlstand glaube ich, dass wir diesen hehren Zustand der Existenz erreichen können!

Aber wir sind so weit davon entfernt, nicht wahr? Das kann ziemlich überwältigend sein…

Liebe Rosie, vielen Dank auch an Dich für den Exkurs in Deine Vergangenheit, Deine Gedankenwelt und für Deine Statements. Deine Wünsche für die Zukunft der textilverarbeitenden Industrie ist ein wunderbarer Abschluss dieser Blogtour.

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Die Fashion Revolution Blogtour haben wir mit einem neuen Schnittmuster begonnen und möchten sie auch mit einem neuen Schnittmuster beenden. Ganz neu und frisch heute im Shop – das Schnittmuster Jacke Holly mit einer ausführlichen Videonähanleitung, die in unserem schnittchen patterns You Tube Channel für Dich bereit steht.

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Die hier gezeigt Variante mit dem spitzen Kragen habe ich mit einem tollen Denim von Thread International genäht. Thread International hat ein wunderbares Projekt auf die Beine gestellt und Stoff aus alten Plastikflaschen hergestellt. So auch dieser Denim…

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Thread International vertreibt keine Stoffe mehr, sondern hat es anderes mit den Stoffen vor… Wenn es Dich interessiert, dann geh auf ihre Seite und trage Dich beim Newsletter ein!

Ich darf aber heute zum Abschluss dieser tollen Woche 2 m von dem tollen Denim verlosen, denn ein bisschen hatten sie noch auf Lager.

Wer also eine Holly aus Denim nähen möchte, der kann einen Papierschnitt und den Denim hier gewinnen. Bitte bis morgen (30.4.) 24 Uhr unter dem Artikel einen Kommentar hinterlassen und mit ein bisschen Glück ist Holly-Paket dann deins! Viel Glück!

 

10 Kommentare

  1. Einen aus Plastikflaschen recycelten Denim hätte ich ja alleine schon gerne, um ihn bei meinen “Materialkunde für Selbermacher” Seminaren zu zeigen! Aus dem “Rest” ein schickes Jäckchen zu schneidern, wäre ein I-Tüpfelchen.
    Danke für die inspirierende Woche.
    LG, Bele

  2. Wow, ich hatte seit der Schulzeit keine Jeansjacke mehr, obwohl Jeansjacken toll sind 🙂
    Ich bin gerade ganz im Nähfieber und würde mich riesig freuen, Jeans und Schnittmuster zu gewinnen.
    Danke für die Blogaktion, das motiviert mich beim Me Made Mai mitzumachen (ich mache nie bei sowas mit…)

    Liebe Grüße

    Veronika

  3. Die Holly-Jacke hat mich gleich angesprungen heute im Newsletter, die würde ich sehr gerne nähen und am liebsten aus dem tollen Denim!
    Vielen Dank fr die tollen Interviews die Tage, Rosie ist eine meiner Lieblingsbloggerinnen!

  4. Liebe Silke,
    Auch deinen letzten Beitrag hab ich mit großem Interesse verfolgt. Im Prinzip finde ich den Ansatz von Vivienne Westwood gar nicht schlecht, denn sie hat großen Einfluss auf viele Menschen und kann damit zu einer Verbesserung der Modewelt beitragen. Jedoch stimme ich Rosie zu, dass sich das Unternehmen selbst dann auch hinter diesen Anfangsgedanken stellen muss und ihn weiter fortführen. Vielen lieben Dank für eine weitere Sichtweise.
    In den Newsletter habe ich mich auch direkt eingetragen und bin gespannt welches Projekt Thread International sich ausgedacht hat.
    Liebe Grüße, Resa

  5. Wieder mal ein sehr informativer Beitrag, vielen Dank. Ich habe deine Blogtour sehr gerne gelesen und gemerkt, dass ich schon auf einem guten Weg zur Nachhaltigkeit bin.
    Der Stoff wäre ein toller Gewinn zum Abschluss.
    Alles Liebe, Sabine

  6. Das neue Jackenschnittmuster sieht super aus. Gefällt mir richtig gut! Ich würde mich sehr über das Paket freuen!
    – Celine

  7. Ein schöner Beitrag! Ich finde es unglaublich interessant Jeansstoff aus alten Plastikflaschen herzustellen. Daher würde ich damit wahnsinnig gerne mal arbeiten.
    Viele liebe Grüße,
    Helga

  8. Cooles Jacken-Paket! Gerne mache ich für die Näh verrückten Damen in meiner Familie mit um ihnen damit eine Freude zu machen!
    Tanzt schön in den 1.Mai!

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