Doppelt und dreifach gut! Das Label “Jyoti” aus Berlin

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Am dritten Tag der Fashion Revolution Blogtour hier im schnittchen Blog möchte ich dir ein Projekt vorstellen, das seinen Ursprung im indischen Chittapur hat. Dort verbrachte 2008 die damals 19jährige Jeanine Glöyer ihr freiwilliges soziales Jahr und baute im Sozialzentrum Jyoti Seva Kendra, was soviel heißt wie “Jemandem das Licht bringen”, gemeinsam mit den Nonnen vor Ort eine kleine Nähwerkstatt auf.

Eigentlich als kleines Projekt für benachteiligte Frauen aus der Region gedacht ist daraus “Jyoti – Fair Works” geworden ein Modelabel, das auf der einen Seite den Frauen aus Chittapur eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben gibt und auf der anderen Seite faire und ökologisch-nachhaltige Mode produziert.

Ich freue mich sehr, dass Carolin Hofer, die sich vor allem um die Wertschöpfungskette und Transparenz der Produkte kümmert und die Kontakte zu den Stoffhändlerin pflegt, mir ein paar Fragen beantwortet hat.

** Ich möchte noch auf die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift “Werde” mit dem Titel “So fair ist Mode jetzt” hinweisen. Hier gibt es einen langen Artikel über Jyoti, der alle Aspekte des so vielschichtigen Unternehmens beleuchtet. Oder klick rüber auf die Seite von Jyoti, wo man auch noch mal genauer nachlesen kann, was Jyoti alles leistet.

Carolin Hofer von Jyoti – Fair Works mit zwei Näherinnen

Interview mit Carolin Hofer von “Jyoti- Fair Works

 

Ich folge Jyoti schon länger auf Instagram und habe kürzlich einen tollen Beitrag über Euch in der Zeitschrift „Verde“ gelesen. Viel (Pionier)-Arbeit steckt in Eurem Projekt und sicherlich oft frustrierende Momente. Was hält Euch „bei der Stange“ und motiviert Euch immer wieder aufs Neue Euren Prinzipien treu zu bleiben?

Natürlich ist es manchmal frustrierend am Alex immer noch Scharen von jungen Menschen mit Primark Tüten einsteigen zu sehen und natürlich läuft bei uns intern auch nicht immer alles glatt und wir schlagen uns mit verspäteten Lieferungen, der Indischen Post, Steuern und Co rum. Aber das wird alles mehr als wieder gut gemacht durch die Erfolge, die wir auf der anderen Seite sehen. Ein riesen Motivator sind unsere Kunden und ihr Feedback. Wir kriegen wöchentlich so viele liebevoll geschriebene Postkarten und nette E-Mails voll Lob und Begeisterung, die uns unglaublich viel Kraft geben. Wir lesen uns diese Nachrichten hier im Büro dann immer laut vor und sind überzeugt – wir haben die nettesten Kunden dieser Welt. Und daneben ist natürlich die Arbeit in Indien unglaublich motivierend. Dazu gehört zu sehen wie sich die Frauen Jahr für Jahr besser werden und uns in ihren Nähfertigkeiten längst weit überholt haben, dass sie Jyoti als ihr Business ansehen und riesiges Interesse am „German Market“ und dem Feedback der Kunden haben. Dazu gehört aber auch mitzubekommen wie sich die Frauen jetzt ihrerseits für die Ausbildung ihrer Töchter einsetzen, und ganz klar erkennen, wie wichtig sie für deren späteres Leben ist. Und schließlich gehört dazu das unglaubliche Potential in Indien zu entdecken. Wir finden jedes Jahr aufs neue wunderschönen Materialien wie Peace-Silk oder Wolle oder entdecken ausgefeilte Webtechniken wie Ikat oder filigranste Musterwebungen, und manchmal sitzen wir dann hier in Berlin einfach nur verträumt vor einem Stapel Stoffe und freuen uns schon ein Jahr im Voraus auf die Kollektion.

Jyoti ist ja nicht nur ein Label für fair und nachhaltig produzierte Kleidung, sondern auch ein soziales Projekt. So unterstützt Ihr mit Eurer Werkstatt in Chittapur Frauen in die Selbstständigkeit zu kommen und in einem guten Umfeld arbeiten zu können. Spricht sich Eure Arbeit vor Ort rum und könnt Ihr damit das Selbstbewusstsein der Frauen insofern stärken, dass sie evtl. bei anderen Arbeitnehmern bestimmte Bedingungen einfordern?

Ja, unsere Arbeit spricht sich auf jedenfall rum. Chittapur ist ein kleines Dorf und die NGO Jyoti  Seva Kendra, mit der wir vor Ort zusammenarbeiten ist durch ihre Arbeit mit Frauen und Kindern sowieso schon sehr bekannt und genießt hohes Ansehen. Wir bekommen laufend Bewerbungen von anderen Frauen aus dem Dorf, die Arbeit bei Jyoti ist also auf jedenfall attraktiv für viele. Und ja, Selbstvertrauen können wir damit bestimmt stärken. Schon alleine die finanzielle Unabhängigkeit von ihren Männern bzw. die wichtige ökonomische Rolle, die sie in der Familie einnehmen, aber auch durch die Arbeit außer Haus, die Interaktion mit Stoffhändlern und Mitarbeiterinnen, sind für die Frauen, die vorher meist von Zuhause aus sehr gering bezahlter Arbeit wie bspw. Räucherstäbchen drehen nachgingen, genug Grund für große Veränderungen in ihrer Selbstwahrnehmung. Ich denke aber der wichtigste Effekt auf evtl. spätere Beschäftigungsverhältnisse sind die Kompetenzen, die die Frauen erwerben, sowohl als Näherinnen als auch in Workshops zu Selbstständigkeit, zu Bankkonten oder zum Geld sparen, so dass sie als qualifizierte Arbeitnehmerinnen einen guten Job annehmen können und nicht schon durch die fehlende Ausbildung in „Ausbeuterjobs“ gedrängt werden.

Wie ist Euer Verhältnis zu den Frauen vor Ort? Könnt Ihr kurz beschreiben, wie die Arbeit für die Frauen bei Jyoti geregelt ist und für was Ihr in diesem Zusammengang Sorge tragt?

Das Verhältnis zwischen uns und den Frauen in Indien ist sehr persönlich und vertraut. Sie kennen Jeanine und mich seit vielen Jahren und wenn wir vor Ort sind arbeiten wir jeden Tag sehr eng zusammen. Außerdem werden in der Gruppe viele Probleme diskutiert (und gelöst),  da weiß jede über die Lebenssituation der Anderen Bescheid. Jyoti wird ganz klar als Projekt oder Unternehmen wahrgenommen, an dem wir alle zusammen arbeiten. Das indische und das deutsche Team sind gleichwertige Partner, die viel Verantwortung tragen ihre jeweiligen Aufgaben ordentlich zu erledigen. Sie das Nähen und wir das Design und den Verkauf:)

Die Frauen fangen bei uns jeden Morgen um 10 an zu arbeiten, haben dann um 13 Uhr eine Stunde Mittagspause und nachmittags wird nochmal von 14-17 Uhr gearbeitet. Die Zeiten haben wir mit den Frauen zusammen festgelegt, abgestimmt auf ihre sonstigen Verpflichtungen zuhause und andere Bedürfnisse. Wer mal keine Zeit hat, kann sich natürlich freinehmen, das geht alles sehr spontan und kommt oft vor, da es in Indien viele Familienfeste und religiöse Feiertage gibt. Die Frauen stimmen sich dazu aber einfach untereinander ab, da mischen wir uns gar nicht groß ein. Früher täglich, jetzt nur noch von Zeit zu Zeit, gibt es nach der Mittagspause noch einmal eine Stunde Englisch Unterricht. Inzwischen sprechen die Frauen sehr gut Englisch und wenn neue Mitarbeiter dazu kommen lernen die sehr schnell von den Anderen und durch den Austausch mit uns. Auch die Einarbeitung neuer Mitarbeiter wird von der Gruppe geregelt. Die Älteren, Erfahrenen üben dann solange mit den Neuen, bis die Produkte deren Qualitätsprüfung standhalten. Und natürlich gibt es in der Ausbildung keine Grenzen, gemeinsam arbeiten wir ständig an neuen Schnittkonzepten und halten in Indien Workshops zu speziellen Nähtechniken oder aber auch zu Themen wie Selbstständigkeit, Geldanlage, etc… Zusätzlich zu diesen „professionellen“ Anreizen, bieten wir den Frauen zinslose und subventionierte Kredite, für private Investitionen im Gesundheits- oder Bildungsbereich und führen bspw. regelmäßige Health Check-Ups durch.

Die Stoffe für Eure Kollektionen sind wunderschön und alle ausschließlich handgewebt von kleinen Familienbetrieben oder Kooperativen. Ihr selbst verschafft Euch immer wieder einen Überblick und inspiziert Eure Zulieferer persönlich. Außerdem sorgt Ihr dafür, dass das Geld wirklich bei den Webern ankommt. Wie macht ihr das?

Vielen Dank für das Kompliment!:) Ja richtig, die Stoffhändler kennen wir alle sehr gut und genauso wie mit den Frauen haben wir inzwischen auch mit vielen von ihnen ein sehr persönliches Verhältnis. Mindestens einmal im Jahr fahre ich für die Auswahl der Stoffe, Zeitplanungen für die kommenden Lieferungen, das Entdecken neuer Webtechniken und ja – auch fürs Zusammensitzen und Chai trinken nach Indien zu den Händlern. Die Händler – das heißt kleine Kooperativen zu denen sich viele Weber zusammen geschlossen haben oder Familienbetriebe, die oft auch zusammen mit den Nachbarn eine Verkaufsgemeinschaft bilden. Dadurch dass wir direkt mit diesen im Kontakt stehen und keine Mittelsmänner einschalten oder den Einkauf der Stoffe outsourcen, stellen wir sicher, dass das Geld das wir zahlen nicht in den Taschen von irgendwelchen Vermittlern, sondern direkt beim Weber landet.

Carolin Hofer im Gespräch mit einem Stoffhändler in Indien

Wer entwirft die Modelle für Jyoti und was ist Euch bei den Designs wichtig?

Das Design übernehmen wir selbst und ist eine unserer Lieblingsaufgaben 🙂 Immer im Januar und Juli setzen wir uns zusammen um erste Ideen für die Kollektion im kommenden Jahr zu sammeln und in den folgenden Wochen und Monaten arbeiten wir diese vagen Ideen aus zu konkreten Schnitten und schließlich Probestücken. Jeanine und ich haben beide keine Ausbildung im Design oder Schnitttechnik hinter uns, und durch die Arbeit bei Jyoti natürlich eine Menge gelernt, aber lange nicht so professionell wie wir unsere Kleidung gerne haben wollen;) An dieser Stelle bekommen wir Unterstützung von Experten. Seit letztem Sommer ist Mareike bei uns mit im Team, sie hat Modedesign studiert und kann aus unseren Vorstellungen und Ideen handfeste Schnitte erstellen, mit denen wir dann nach Indien reisen und sie den Frauen vorstellen. Bei den Designs versuchen wir auf Alles zu achten, was unsere Produkte nachhaltiger machen kann. Natürlich wollen wir keinen Trends hinterherlaufen, die nach wenigen Monaten nicht mehr angesagt sind, sondern möglichst zeitlose Schnitte entwerfen. Dazu gehört auch die Zeitlosigkeit übers Jahr hinweg, bspw. Sommerkleider, die sich im Winter mit langem Rolli und Stiefeln kombinieren lassen und Zeitlosigkeit über die Veränderungen unseres Körpers hinweg, also Schnitte die sich an verschiedene Figuren anpassen, gebunden oder gewickelt werden können. Daneben versuchen wir den Verschnitt, der beim Zuschneiden anfällt, stark zu reduzieren oder optimalerweise ganz zu vermeiden. In den letzten Wochen hat Mareike wahre Wunder des Puzzelns vollbracht und wir werden in der Kollektion Sommer 2019 zwei Zero-Waste-Produkte vorstellen, bei deren Zuschnitt wirklich kein einziger Zentimeter Stoff weggeworfen wird. Und dass die Stücke am Ende auch noch schön aussehen sollen, muss ich wahrscheinlich nicht zu erwähnen… Da verlassen wir uns meistens ganz auf unseren eigenen Geschmack und überlegen was wir nächstes Jahr am Liebsten im eigenen Kleiderschrank sehen wollen;)

Was hat sich in Eurem eigenen alltäglichen Lebensstil geändert seitdem Ihr mit Jyoti wirkt?

Ich denke diese Frage meinst du in Bezug auf unser Einkaufverhalten?! Ich würde sagen, dass wir alle auch schon vor Jyoti sehr bewusst konsumierende Menschen waren und uns vielleicht auch deshalb hier zusammen gefunden haben 😉 Trotzdem wird man durch unsere Arbeit jeden Tag aufs neue sensibilisiert für die Auswirkungen unseres Konsums und gleichzeitig motiviert es anders zu machen. Ich kann nur für mich sprechen aber eine konkrete Änderung wäre bspw. das Einkaufen bei anderen Fair Trade Labels. Das klingt vielleicht erstmal komisch – sollte ich das nicht sowieso machen? – aber ich habe lange Zeit ausschließlich Second-Hand-Kleidung gekauft und finde ehrlich gesagt 95% meiner Kleidung immernoch auf Flohmärkten. Durch die Arbeit bei Jyoti sind aber viele andere kleine Labels auf die Bühne getreten, und weil man weiß, wie wichtig die Arbeit ist, die dort geleistet wird und wo es ankommt, wenn man dann schweren Herzens 150€ für ein Kleid zahlt, kommt das jetzt alle Jahre auch mal vor. Ich bin auf jedenfall auch viel radikaler geworden in meinen Ansichten und sehr viel strenger mit mir selbst bei der generellen Frage danach was ich wirlich brauche.

Jyoti gibt es jetzt seit ein paar Jahren. Könnt Ihr schon einen Wandel hin zu einem sagen wir mal „weniger ist mehr” feststellen? Wie würdet Ihr Euren KundenInnen beschreiben?

Ja genau, Jyoti hat im Jahr 2010 als kleines Projekt angefangen und im Jahr 2014 haben wir dann offiziell das Unternehmen gegründet und im Sommer darauf auch die erste Kleidungskollektion verkauft. „Weniger ist mehr“ sollte natürlich für jedes Fair Trade Label mit ganz oben auf der Grundsatz-Liste stehen und wir selbst verwirklichen diesen Slow Fashion Ansatz durch kleine und wenige Kollektionen, gute Qualität, die Produkte lange leben lässt und die Ermunterung unserer KundInnen den Wert der Kleidung anzuerkennen und dementsprechend gut damit umzugehen, sie ggf. zu reparieren usw. Durch das Feedback, dass wir von unseren KäuferInnen bekommen, können wir davon ausgehen dass diese Idee durchaus auch ankommt. Wir bekommen auch manchmal E-Mails mit Nachfragen ob wir abgefallene Knöpfe nochmal schnell annähen, Hosen kürzen oder eine aufgegangene Naht schließen können. Da wir fast ausschließlich online verkaufen ist es aber natürlich schwierig zu beurteilen inwiefern unsere KundInnen tatsächlich eine bewusste Entscheidung für weniger Konsum getroffen haben oder unsere Produkte einfach nur sehr schön finden und im Schrank neben 70 anderen Stücken aufreihen;) Ich denke aber dass alleine der Preis für faire Mode bei unseren KundInnen ein gewisses Verständnis für „weniger ist mehr“ voraussetzt und ganz konkret am persönlichen Kontakt mit KäuferInnen, merken wir auch deutlich, dass das Interesse an globalen Lieferketten und Transparenz in der (Mode)Industrie steigt! Viele KundInnen fragen uns Löcher in den Bauch um sich wirklich von jedem Wertschöpfungsschritt ein genaues Bild machen zu können. Das muss dann ja auch irgendwie in Wertschätzung für die Arbeit die dahinter steckt resultieren..:)

Was wünscht Ihr Euch konkret für die Zukunft Eures Unternehmens?

Puh, das ist eine große Frage… und manchmal drücken wir uns mit „schauen wir mal“ vielleicht auch selbst ein bisschen drumherum 😉 Aber ein paar konkrete Ziele haben wir schon. Zunächst mal wollen wir weiter wachsen. Die Nachfrage nach unseren Produkten ist in den letzten Jahren konstant gestiegen und vor allem seit diesem Frühjahr überschwemmt uns eine Welle von begeisterten EinkäuferInnen so dass wir mit der Produktion kaum noch hinterherkommen. Die nächsten Schritte wären also, dass wir unser Team in Indien erweitern und noch weitere Frauen einstellen. Da wir so mehr Frauen in Indien erreichen und eine Ausbildung sowie einen guten Arbeitsplatz bieten können, wollen wir das sowieso! Es ist aber vor allem auch notwendig um unsere Produktion auf ein Level zu heben, mit dem wir hier in Deutschland unser Team ausbauen und fair bezahlen können. Wenn wir dann aber mal ein bisschen über unseren kleinen Jyoti – Tellerand hinaus schauen, sollen aber nicht nur wir wachsen, sondern der Markt für faire Mode allgemein. Man könnte sagen wir wünschen uns eine vielfältige, starke Konkurrenz! So dass faire Mode nicht mehr die versteckte Ausnahme, sondern die Regel ist.

Liebe Carolin, vielen Dank für dieses Interview! Ehrlich gesagt finde ich keine Worte für Euren enormen Einsatz und ziehe den Hut…

Das Büro von Jyoti in Berlin
Das Team von Jyoti in Indien

Den 50 € Gutschein von Band of Rascals hat Janina gewonnen. Herzlichen Glückwunsch!

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